Sunday, July 3, 2016

Vom (Br)Exit zur Repolitisierung. Hannes Hofbauer

Diskussionswürdig!!: 

 "Politik ist wieder gefordert, Dereguliertes kann wieder reguliert, Kapital an die Kandare genommen werden"

Im Zerfall der EU  könnte eine Chance liegen

Ungewissheit hat das Brexit-Votum nicht nur über die britische Jugend gebracht, sondern über ganz Europa. Darin kann eine Chance liegen.
Die Union der 28, demnächst um ein Mitglied verkleinert, ist die ideale Herrschaftsform für Global Player. Es gelten die vier kapitalistischen Freiheiten des ungehinderten Verkehrs von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften. Auf die Kurzformel gebracht: Brüssel steht für ökonomische Konvergenz bei gleichzeitiger sozialer (und steuerpolitischer) Divergenz. Zur Durchsetzung dieser Form von Kapitalherrschaft opferte man sogar das Kernstück bürgerlich-parlamentarischer Demokratie, die Gewaltenteilung. In der EU erheben sich die nationalen Exekutiven zur supranationalen Legislative; nationalstaatliche Minister(präsidenten) bilden – ohne demokratischen Auftrag – den supranationalen Rat. Bei der »Wahl« der Kommission spielt das EU-Parlament eine unbedeutende Nebenrolle. Zwischen Rat und Kommission herrscht Lobbyismus.

Immer mehr Menschen in dem noch 508 Millionen EinwohnerInnen-Gebilde spüren die Schieflage von Kapitalherrschaft und Demokratiedefizit.

 In Großbritannien waren es 17,4 Millionen, knapp 52 Prozent des Wahlvolkes, die Brüssel eine klare Absage erteilt haben. Für Linke und überhaupt alle Demokraten ist dies eine frohe Botschaft. Und dennoch: Die Linke zeigt sich zögerlich mit dem Jubel, wenn sie sich nicht gar einer sinnverdrehenden Herrschaftsdiktion bedient und »fehlende Solidarität« anmahnt oder vor »der Gefährlichkeit neuer Grenzen« spricht, wo es um die Durchsetzung von Investitionssicherheit und freien Gewinntransfers geht.

Staunend und leicht irritiert betrachtet die Linke Fernsehbilder feiernder Konservativer und Rechter, die sich, um Nigel Farage oder Marine Le Pen scharen und den Sieg über die Brüsseler (Kapital)Diktatur für sich zu reklamieren. Und doch wissen wir:

Es war der sprichwörtliche kleine Mann aus krisenhaften früheren Industriegebieten in Mittelengland, Cornwall und Wales, der das britische Referendum entschieden hat. Den fast lustlos vorgetragenen Appellen der Labour-Führung zum Verbleib merkte man die Lobby-Arbeit der Global Player direkt an. Die Durchhalteparolen waren schon lange nicht mehr glaubwürdig.

In welche Richtung auch immer sich die britischen Inseln nach dem Brexit bewegen werden, es wird jedenfalls zu einer Re-Politisierung kommen. An die Stelle automatisierter Mechanismen müssen neue Abmachungen treten. Die Politik ist wieder gefordert, Dereguliertes kann wieder reguliert, Kapital an die Kandare genommen werden; freilich nur dann, wenn die Kräfteverhältnisse dies zulassen.

Stellen wir uns den immer wahrscheinlicher werdenden Fall eines Scheiterns der EU insgesamt vor.

 Eine Linke, die sich davor fürchtet, hat schon verloren. Und das Argument, dass dann die Rechte automatisch das Sagen hätte, weil sie »gegen Europa« steht, unterschätzt die Dynamik großer Umbrüche. Im Fall, dass Brüssel zur geteilten Hauptstadt Walloniens und Flanderns würde und die EU-Bürokraten die Heimreise anträten, brauchte es niemanden mehr, der zur Rechtfertigung eines angeblichen Friedensprojektes ständig entsprechende Sprechblasen absondert.

Die Sozialdemokratie wäre gefordert, sich ein neues Politikfeld zu suchen; sie könnte wie vor 150 Jahren für soziale Rechte zu kämpfen beginnen. Die Grünen müssten aufhören, die EU als Schutzmacht einer ohnedies immer schmäler werdenden Mittelschicht zu lobpreisen und sich an ihre Gründungsideen vor 35 Jahren erinnern. Und die »Linke« hätte plötzlich Konkurrenz im Kampf gegen das Kapital, was ihrer Radikalität zugute käme. Angst vor dem Ende der EU muss das großräumig agierende Kapital haben, für die Linke – gleich welcher Ausrichtung – besteht darin eine Chance.

 
 
 

No comments:

Post a Comment