Thursday, April 14, 2016

Willenskraft im Kampf für Frieden 

Haas ‘Brennerova’ und Schillers ‘Wallenstein’  neu gelesen 

 Eine Betrachtung von Irene Eckert

"Weil, der Wille natürlich  ganz schlechte menschliche Erfindung"  meint  Brenners  Freundin Hertha im  Krimi Slang des Kult-Autors Wolf Haas. In  seiner K-Satire "Brennerova" gerät die ausrangierte Ex-Pädagogin  auf der Suche nach ihrem  Schamanen  in der Mongolei in Geiselhaft. Brenner, ihr unfreiwilliger  Held, ein wegen Disziplinlosigkeit ebenfalls frühpensionierter Polizist, wird einmal mehr  als Geheimdetektiv tätig und rettet sie.


Der Österreicher Wolf Haas ist als studierter Psychologe, Germanist und  Werbetexter ein angesagter Krimi-Autor, Brenner sein unorthodoxer Protagonist. Weibliches Begleitpersonal motiviert ihn, zieht ihn auf die Spur des Verbrechens. Er und seine Frauen bringen sich dabei gegenseitig in Schwierigkeiten.

Haas' Schreibe, mehrfach  preisgekrönt, ist kultig, eigenwillig, humorvoll. Er favorisiert gesellschaftliche Problemthemen und unterkühlte Töne. Mit dem Leser per Du, fabelt er locker und spannend daher,  seine Stories sind visuell und stark gewalthaltig. Streckenweise rücksichtslos brutal, aber immer augenzwinkernd unterhaltsam, so verpackt Wolf gesellschaftskritische Hinweise. Mit der 'Brennerova' führt er  die Verflechtung von Mafia und Polizei, von Mädchenhandel und Drogengeschäft vor. Der allgegenwärtige Überwachungswahn wird aufs Korn genommen.

Ganz anders  schreibt sein über  250 Jahre älterer Kollege Schiller, ein Klassiker der Weltliteratur. Uns Heutigen mag er daher schwerer, tragender  erscheinen. Dennoch sind seine Themen nicht weniger aktuell. Zu seiner Zeit  galt  er als gehobene Unterhaltungsliteratur. Friedrich Schillers  Stücke waren Publikumslieblinge. Seine Balladen kannte jedes deutsche Kind. Der aus der Heimat vertriebene Militärarzt  und Historiker schrieb Gedichte und Dramen. In Jena  lehrte  der  Goethe-Freund Geschichte. Vorbildhaft trotzte der mit 46 Jahren schon Verstorbene dem schwerkranken Körper das Letztmögliche ab. Er fabulierte nicht nur, sondern lebte vor,  wozu menschliche Willenskraft fähig ist. Der Mensch kann  durchaus über sich selbst hinauszuwachsen.  Schiller  zeigt in seinen Stücken die Leuchtkraft der Charakterstärke, aber auch, was Charakterschwäche an Verhängnis nach sich zieht.

Seine Tragödie"Wallenstein", eine in  Versen erzählte Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg, kann als Krimi  gelesen werden,  Spiegel einer  gewalthaltigen Zeit. *
Anders als  der Alpenrepublikaner Haas zielt  der Württemberger Schiller auf  die ganz großen menschheitlichen Ränke, Hintergründig werden historische Interessenkonflikte thematisiert. Es   geht um Macht- und Europapolitik, um Krieg und Frieden. Die  Wirkungsmöglichkeit des Individuum im Gefüge der Menschenschicksale wird aufgezeigt.  Lügengebäude, Größenwahn  und  Unvernunft sind es, die die Akteure schließlich zu Fall bringen.

Mit Schillers 'Wallenstein'  sichten wir  ein  fast vergessenes Juwel deutscher klassischer Literatur. An Mord und Totschlag, Lug und Trug mangelte es damals so wenig wie heute. Der  große Söldnerführer 'Wallenstein' hat  aber -  im Unterschied zum kleinen Spitzbuben Brenner  und seinen 'Kops' - Visionen.  Der Emporkömmling dient als Warlord zunächst der höchsten, der kaiserlichen Macht. Ruhm und Reichtum des Kriegsgewinnlers ruhen allerdings auf  schweren Verbrechen. Das kann nicht gut gehen. Am Ende steht er ganz alleine. Unerreichbar für Warnungen fällt sein Leben heimtückischem Verräter-Mord zum Opfer.

Zu spät oder zu früh gekommen,  wollte er  Frieden schaffen mit dem schwedischen  Feind, wollte den Religions-Fanatismus beenden und der unbegrenzten Eroberungspolitik des Hauses Österreich Schranken setzen. Sein Preis war hoch, seine Mittel fraglich.

Der klassische Humanist Schiller denunziert  im 'Wallenstein'-Drama den Wahnsinn der  kriegerischen Ränke-Schmiede.  Offenheit, Wahrhaftigkeit und eine dem Frieden dienliche Politik, ist die Vision, die mit Charakteren wie Max Piccolomini und der Thekla von Friedberg, Wallensteins Tochter, als Möglichkeit sichtbar werden.  Mit solchen jungen Menschen, die frei vom schuldhaften Verhalten der Eltern, wird Zukunft denkbar.

Wallensteins Schwägerin, die Gräfin Tertzky,  weibliches Pendant zum Friedberger, ist eine  eiskalte, moderne Macht-Politikerin.  Des Kriegsfürsten Ehefrau, die Herzogin, dagegen ein Sinnbild weiblicher Schwäche und Ängstlichkeit. Ihre Tochter Thekla,  Lichtgestalt und Hoffnungsträgerin  muss  als  bloßes Instrument  väterlicher  Karrierepläne zugrundegehen. Ihrem Geliebten Max, dem Oberst Piccolomini,  Opfer eines genauso verblendet-unehrlichen Vaters, ereilt das gleiche Schicksal.

Natürliche Verbündete, Freunde, Geliebte, Partner stolpern über die unnatürlichen Intrigen, die sie selber schmieden. Die Seelenlosigkeit menschlichen Handelns zieht auch Unbeteiligte mit in den Abgrund. Weil übersteigerter  Ehrgeiz,  Karriere- und  Machtstreben das Tun der Protagonisten leiten, müssen sie am Ende das ihnen Liebste preisgeben.

 Schillers Stück von1799 verweist schon auf die heraufziehenden napoleonischen Kriege, die Europa verheeren werden.  1805 stirbt der Dichter. 1815 wird - am Ende der nationalen Befreiungskriege - mit dem Aufstieg des Fürsten Metternich der Geist des Fortschritts vorerst begraben,  um aber gegen Ende des Jahrhunderts  mit  geschichtsbildender Wirkung in Form der sozialistischen Arbeiterbewegung wiederzukehren.  1989 geht das erste sozialistische Staaten-Gefüge der Welt vorerst verloren, neue globale  kriegerische Folgen nach sich ziehend.

Heute befinden wir uns - trotz des trügerischen Glanz und Gloria der Konsumpaläste - im Westen  in einer ähnlich bleiernen Zeit wie vor 200  Jahren. Europa und  die NATO-Länder erleben eine neue  Zeit des Niedergangs, den sie - alle Zeichen ignorierend - schuldhaft heraufbeschwören.

 Verblieben ist uns  auf der 'Kultur'-Schiene vorübergehend nur Kriminalliteratur. Texte zur seichten Unterhaltung, selten zur Erbauung, werden vorgelegt.  Das Theater  ist längst keine Anstalt mit moralischem Anspruch mehr. Zeichen einer  neuen Zeit werden dort nicht sichtbar.
Dennoch bereitet diese sich vor. Sie  scheint auf am östlichen Horizont  und - trotz aller Rückschläge - in der südlichen geopolitischen Hemisphäre. Es ist der Blick dorthin, der  uns  die Wege aus der  Gefahr weisen kann. Willenskraft und geistige Anstrengung sind dafür selbstedend von Nöten. Die Aufarbeitung der Klassiker kann dabei nicht schaden.

Apathie, Drogenkonsum, Schamanentum,  Versinken in Willenlosigkeit, würde einem unheilverheißenden Trend Vorschub leisten. Das dürfen wir als verantwortungsbewusste Menschen nicht zulassen.
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* Übrigens: Schiller selbst hat sich sogar unmittelbar am Genre Kriminalprosa  in seinem  Roman-Fragment "Die Geisterseher" versucht, gab aber auf, weil es ihm nicht möglich schien, die für ihn ausschlaggebenden Hintergrundinformationen darin unterzubringen. 15. April 2016

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