Monday, February 15, 2016

"Weltunordnungspolitik" in München - Alexander Neu/ die Linke im Interview

bei RT Deutsch zur Münchner Sicherheitskonferenz

Teilnehmer auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz. Foto: Mueller / CC BY 3.0 de
Teilnehmer auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz. Foto: Mueller / CC BY 3.0 de
Seit heute findet die 52. Münchner Sicherheitskonferenz statt. Das Treffen hat mittlerweile einen hohen Stellenwert auf dem internationalen Parkett. Zu den 550 geladenen Gästen zählt auch Dr. Alexander Neu (Die Linke), Obmann im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Ob von der Konferenz Lösungen für die dringendsten globalen Probleme zu erwarten sind, oder ob es doch um etwas ganz anderes geht, dazu befragte RT Deutsch den Parlamentarier im Interview.
Offiziell soll die Münchner Sicherheitskonferenz ein Forum zur Debatte über Themen wie die Flüchtlingskrise, den Krieg in Syrien aber auch den immer noch nicht beigelegten Ukraine-Konflikt bieten. Zur Vorbereitung veröffentlichten auch dieses Jahr die Organisatoren der Konferenz ihren "Munich Security Report", der in besonderem Maße dem geopolitischen Agenda-Setting für das Jahr 2016 dient.
Obwohl es sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz um eine private Veranstaltung handelt, trägt der Steuerzahler den Großteil der Kosten des Zusammenkommens. Für das Polizeiaufgebot, Straßensperren, aber auch für Unterkunft und Bewirtung der hochkarätigen Konferenzteilnehmer. Insgesamt kommen so jährlich rund 1,3 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern zusammen, weswegen sich Abgeordnete der Partei Die Linke vor einigen Jahren das Recht erstreiten konnten, zu der Konferenz eingeladen zu werden.
Aus der Bundesregierung nehmen Ursula von der Leyen (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD), Peter Altmeier (CDU) und Gerd Müller (CSU) teil. Die russische Delegation reist mit Ministerpräsident Dmitri Medwedew und Außenminister Sergej Lawrow an. Außerdem werden John Kerry und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in München erwartet. Darüber hinaus weitere Staats- und Regierungschefs.
Auch in diesem Jahr ruft die Friedensbewegung zu Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz auf. Auf Samstag, den 13. Februar um 13 Uhr ist die Auftaktkundgebung am Stachus angesetzt, 15 Uhr dann die Schlusskundgebung am Marienplatz. Mit diesen Protesten sympathisiert auch der Bundesabgeordnete Alexander Neu (Die Linke), den RT Deutsch im Vorfeld der dreitägigen Konferenz zum Interview bat.
Herr Neu, Sie sind mittlerweile regelmäßiger Teilnehmer der alljährlichen Münchner Sicherheitskonferenz. Eine gute Gelegenheit für Sie, um sich mit Gleichgesinnten darüber auszutauschen wie man die Welt sicherer machen kann? Schließlich suggeriert das ja der Titel der Konferenz.
Ehrlich gesagt, suggeriert der Titel: "Boundless Crises, Reckless Spoilers, Helpless Guardians" (Grenzenlose Krisen, Rücksichtslose Störer, Hilflose Wächter) ein hohes Maß an Verunsicherung in der westlichen Welt.
In der nun zweiten Dekade im 21. Jahrhundert befinden wir uns mitten im Übergang von der unipolaren Weltordnung, getragen von den USA und ihren Vasallen, hin zur multipolaren Weltordnung. Im Diplomatendeutsch heißt das "die Welt gerät aus den Fugen". Ja, das stimmt. Die Welt gerät aus den Fugen; Fugen, die der Westen geschaffen hat und in die sich andere Staaten einfügen mussten. Das ist zunehmend vorbei.
Aber faktisch haben wir es mit einer Weltunordnungspolitik seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation zu tun. Der Westen hat die 20-jährige Hegemonie nicht genutzt, um eine internationale Rechtsstaatlichkeit aufzubauen, die Welt friedlicher zu gestalten und nicht-westliche Nationen von den Vorzügen westlicher Zivilisation bei gleichzeitiger Respektierung nichtwestlicher Traditionen und Kulturen zu überzeugen.
Stattdessen Rechtsnihilismus, Militarismus, Selbstüberschätzung, Maßlosigkeit und Doppelstandards. Daneben noch mindestens 1,5 Millionen Kriegstote von Irak über Jugoslawien bis Libyen und Syrien.
Die diesjährige Konferenz soll gemäß dem Titel vermutlich dazu beitragen, dass der Westen noch enger zusammenrückt, um den für den Westen unangenehmen Multipolarisierungsprozess wenn nicht zu stoppen, doch zumindest zu verlangsamen. Von einem grundlegenden außen- und sicherheitspolitischem Paradigmenwechsel ist nicht auszugehen.
Tatsächlich lösten Sie im vergangenen Jahr einen kleinen "Eklat" aus, als Sie aufriefen "gegen die Kriegstreiber auf der Sicherheitskonferenz" zu demonstrieren. Konferenzchef Wolfgang Ischinger legte Ihnen verklausuliert nahe, Sie sollten während Ihres Aufenthalts in München doch in der Jugendherberge nächtigen, statt im Konferenzhotel. Sehen Sie dieses Jahr Anlass mit der Münchner Sicherheitskonferenz weniger hart ins Gericht zu gehen?
Es war eine wunderbare PR-Maßnahme, die Ischinger gebracht hat. Hatte mein Statement zunächst nur wenig Aufmerksamkeit, so stieg die Aufmerksamkeit exponentiell an, als Ischinger in seiner Pressekonferenz meinte, mich geißeln zu müssen. Das war klasse.
Ich muss meine Aussage nicht jährlich wiederholen. Aber die Kritik an dem Geiste der Veranstaltung bleibt und wird auch auf anderen Wegen artikuliert werden. Wer meine Postings auf Facebook verfolgt, bekam gestern mal wieder einen interessanten Einblick in Ischingers Welt:
Der von der Veranstaltung bereits im Vorfeld herausgegebene "Munich Security Report" soll für die dreitägige Veranstaltung als "Impulsgeber" dienen. Gleich im ersten Absatz ist von "Russlands Aggressivität" die Rede. Im Hinblick auf die USA bleiben solche Worte aus. Dennoch nimmt eine hochrangige russische Delegation an der Konferenz teil. Wie muss man sich die Atmosphäre vor Ort vorstellen? Als eine Art westliches Tribunal oder gibt es trotz der wenig diplomatischen Worte im Vorfeld eine echte Chance auf Verständigung und Dialog zwischen den Weltmächten, etwa auch im Hinblick auf die Sanktionen gegen Russland?
Naja, der Begriff Tribunal ist vielleicht etwas übertrieben. Es muss ja kein Vertreter eines "Störerstaates" auftreten, gegen den dann das Tribunal sich richtet. Aber die Atmosphäre ist schon so, dass ein Regierungsvertreter einer für den Westen unliebsamen Regierung dort diskursiv hart angegangen wird. 90 Prozent der Anwesenden sind Transatlantiker. Als Nicht-pro-westlicher Teilnehmer geht man da nicht als Sieger raus.
Einigen Punkten im "Munich Security Report" kann man jedoch nur schwer widersprechen. Kriege und die anhaltende Flüchtlingskrise stellen die Welt weiterhin vor große Herausforderungen. Über welche möglichen Lösungswege, gerade auch bezüglich der Lage in Syrien, würden Sie sich Debatten in München wünschen?
Ich wünsche mir, dass endlich ehrlich über die Fluchtursachen diskutiert würde. Es ist kein Zufall, dass die meisten Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Libyen, dem Irak und dahinter der serbischen Provinz Kosovo kommen. Alles Länder und Regionen, die sich der westlichen Militärintervention und Regime-Changes erfreuen durften.
Das läuft ja auch in Syrien bis heute weiter. Dieses offene Eingeständnis und den notwendigen Paradigmenwechsel wünsche ich mir. Also: Respektierung des Völkerrechts, keine Interventionen, eine faire Weltwirtschaftsordnung, statt Liberalisierung der Weltwirtschaft und klimafreundliche Initiativen und Verpflichtungen.
An Ihrer vorherigen Antwort wurde bereits deutlich, dass sie den Fatalismus, der an manchen Stellen des Reports anklingt, durchaus teilen. Immerhin heißt es, vom Westen ausgesehen, ist die Welt im schlechtesten Zustand seit Ende des Kalten Krieges. Zum ersten Mal seit 1989 könne ein militärischer Schlagabtausch - auch nuklearer Art - zwischen den Großmächten nicht mehr ausgeschlossen werden. Ist das Panikmache oder gibt es wirklich Grund, um in Sorgen zu verfallen?
Ja, die Welt ist aus den vom Westen bestimmten Fugen geraten. Aber die Weltunordnung entstand nach 1991 mit der westlichen Hybris, statt Vernunftpolitik. Der derzeitige Multipolarisierungsprozess ist nicht ungefährlich. Wenn Großmächte an Macht verlieren, sei es relativ oder absolut und neue Kraftzentren entstehen, ist das der Zeitraum, in dem die Kriegsgefahr ungleich größer ist als in gefestigten Machtverhältnissen.
Der Westen erlebt de facto einen relativen Machtverlust durch die BRICS-Staaten. Russland verteidigt seine Interessen in der Ukraine und Syrien. Für den Westen eine Anmaßung. China baut an seiner Seidenstraße und hat eine eigene Investitionsbank gegründet, was als Konkurrenzprojekt zur vom Westen dominierten Weltbank und IWF zu verstehen ist. Auch wenn in diesen BRICS-Staaten derzeit eine Krise herrscht, ist ihre wachsende Stärke nicht zu übersehen.
Ich hoffe sehr, dass der Westen seinen relativen Machtverlust nicht mit drastischen Machtmitteln zu verhindern sucht, sondern sich für eine vertrauensvolle Kooperation mit den neuen Kraftzentren entscheidet.
Der Titel der diesjährigen Sicherheitskonferenz suggeriert aber nicht diesen nötigen Sinneswandel.
https://deutsch.rt.com/international/36751-alexander-neu-zur-munchner-sicherheitskonferenz/

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