Friday, October 31, 2014

“Neue Spielregeln oder Spiel ohne Regeln”. Rede des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin auf dem Waldai­ Forum am 24. Oktober 2014

 Das Waldai Forum ist eine international renommierten Diskussionsplattform zu globalen Fragen internationaler Politik.  Wir veröffentlichen hier die nicht kommentierte, vollständige Übersetzung des Stenogramms von  Präsident Putins  Auftritt beim Waldai ­ Klub 2014 . Der Text hat keinerlei Hervorhebungen oder Markierungen und ist  fürs Erste  nur oberflächlich korrekturgelesen, für Hinweise auf offenkundige Fehler  sind wir dankbar. 

 Verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren, liebe Freunde!

Ich freue mich, Sie auf der 11. Konferenz des Diskussionsklubs “Waldai” zu begrüßen.
Es wurde hier schon gesagt, dass es in diesem Jahr neue Mitorganisatoren des Klubs gibt. Darunter sind russische Nichtregierungsorganisationen und Fachverbände, führende Universitäten. Außerdem wurde die Idee eingebracht, außer den rein russischen Fragen auch Fragen der globalen Politik und Wirtschaft zur Besprechung einzubringen.
Ich rechne damit, dass diese organisatorischen und inhaltlichen Änderungen die Positionen des Klubs als eine der einflussreichen Diskussions­ und Expertenplattformen festigen werden. Dazu rechne ich auch damit, dass der sogenannte Geist von Waldai bewahrt werden kann, und dieser Geist ist die Freiheit, Offenheit, und die Möglichkeit, verschiedenste und dabei offene Meinungen zu vertreten.
In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, dass ich Sie auch nicht enttäuschen werde: ich werde direkt und offen sprechen. Einige Dinge werden Ihnen möglicherweise zu hart erscheinen. Aber wenn wir nicht offen und direkt, ehrlich sagen, was wir wirklich und in Wahrheit denken, dann hat es keinen Sinn, uns in einem solchen Format zusammenzufinden. Dann müsste man sich in irgendwelchen Diplomatenzirkeln versammeln, wo niemand wirklich etwas sagt, und – im Gedenken an die Aussage eines bekannten Diplomaten – kann man nur darauf verweisen, dass Diplomaten eine Zunge haben, um damit nicht die Wahrheit zu sprechen.
Wir versammeln uns hier mit einer anderen Zielsetzung. Wir versammeln uns, um offen zu sprechen. Eine Direktheit und Härte der Einschätzungen braucht man heute durchaus nicht dazu, um miteinander zu zanken, sondern um verstehen zu versuchen, was denn in Wirklichkeit in der Welt vor sich geht, warum sie immer weniger sicher und vorhersagbar wird, weshalb an allen Orten die Risiken steigen.
Das Thema des heutigen Treffens, der Diskussionen, die hier stattfanden, wurde schon benannt: “Neue Spielregeln oder Spiel ohne Regeln”. Meines Erachtens ist dieses Thema, diese Formulierung durchaus genau, wenn es darum geht, den historischen Scheideweg zu beschreiben, an dem wir uns befinden, oder  wenn es um die Wahl geht, die wir alle zu treffen haben.
Die These, dass die heutige Welt sich rasant verändert, ist natürlich nicht neu. Und ich weiß, dass davon im Verlauf der Diskussion schon gesprochen worden ist. Tatsächlich ist es schwer, die grundlegenden Veränderungen in der globalen Politik, der Wirtschaft, dem gesellschaftlichen Leben, im Bereich der industriellen, Informations­ und sozialen Technologien zu ignorieren.
Ich möchte gleich um Entschuldigung bitten, falls ich etwas wiederhole, was bereits von den Teilnehmern an den Diskussionen ausgesagt worden ist. Aber das kann man wohl kaum vermeiden, denn Sie haben ja schon sehr detailliert diskutiert, aber ich werde einfach meinen Standpunkt darlegen, und in einigen Facetten kann dieser mit den Meinungen der Diskussionsteilnehmer zusammenfallen, in anderen Dingen wird er sich unterscheiden.
Vergessen wir bei der Analyse des heutigen Zustands nicht die Lektionen der Geschichte. Erstens werden Veränderungen der Weltordnung (und mit einem Ereignis genau solcher Tragweite haben wir es heute zu tun) in der Regeln wenn nicht von einem globalen Krieg, von globalen Zusammenstößen also, so doch von einer Kette an intensiven Konflikten auf regionaler Ebene begleitet. Zweitens geht es in der Weltpolitik vor allem um wirtschaftliche Führung,  um Fragen von Krieg und Frieden, um humanitäre Bereiche einschließlich der Menschenrechte.
Es hat sich weltweit eine Menge an Widersprüchen angesammelt. Und man muss einander offen fragen, ob wir denn über ein verlässliches Sicherheitsnetz verfügen. Leider gibt es keinerlei Garantien dafür, dass das bestehende System der globalen und regionalen Sicherheit dazu in der Lage wäre, uns vor Erschütterungen zu bewahren. Dieses System ist ernsthaft geschwächt, gebrochen und deformiert worden. Internationale und regionale Institutionen der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit durchleben eine schwierige Zeit.
Sicher, viele der Mechanismen, die der Weltordnung zugrunde liegen, sind vor schon ziemlich langer Zeit entstanden, einschließlich – und vor allem – als Resultat des Zweiten Weltkriegs. Die Stabilität dieses Systems gründete übrigens nicht nur auf einer Kräftebalance, und das möchte ich auch unterstreichen, nicht nur auf dem Recht der Sieger, sondern auch darauf, dass die “Gründerväter” dieses Sicherheitssystems einander mit Achtung begegneten. Sie haben nicht versucht, sich alles einzuverleiben, sondern sie haben  miteinander geredet.
Das Wichtigste aber ist, dass dieses System sich weiterentwickelt hat und  es ungeachtet  aller Abstrichen dabei behilflich war, die auftretenden Probleme der Welt wenn nicht zu lösen, so doch im Rahmen zu halten und die natürliche Konkurrenz der Staaten untereinander zu entschärfen.
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Mechanismus der gegenseitigen Kontrolle und der Gegengewichte, der in den vergangenen Jahrzehnten teils mühevoll aufgebaut werden konnte, nicht hätte zerstört werden dürfen.  Jedenfalls hätte man nichts zerstören dürfen, ohne an dessen Stelle etwas Neues aufzubauen, denn sonst gibt es tatsächlich keine anderen Mittel mehr als die rohe Gewalt. Es wäre angebracht, eine vernünftige Rekonstruktion zu unternehmen, das System der internationalen Beziehungen an die neuen Realitäten anzupassen.
Allerdings haben die Vereinigten Staaten, die sich zu den Siegern des Kalten Kriegs erklärt haben, wie ich meine, selbstsicher angenommen, dass daran einfach kein Bedarf besteht. Und anstelle der Einrichtung eines neuen Kräftegleichgewichts, das eine unabdingbare Voraussetzung für Ordnung und Sicherheit ist, wurden ganz im Gegenteil Schritte unternommen, die zu einer enormen Vertiefung des Ungleichgewichts führten.
Der “Kalte Krieg” ist beendet. Aber er ist nicht mit einem “Friedens”abkommen und mit verständlichen, transparenten Verhandlungsergebnissen über die Achtung der bestehenden oder die Schaffung neuer Regeln und Standards beendet worden. Es ergibt sich der Eindruck, dass die sogenannten “Sieger” im Kalten Krieg daran gingen, aus der Situation alles herauszuholen und die ganze Welt nach ihrem Gusto, nach ihren Interessen neuzuformatieren. Und wo das bestehende System der internationalen Beziehungen, des internationalen Rechts und das System der gegenseitigen Kontrolle und Gegengewichte diesem Ziel im Weg stand, dort wurde dieses System sofort als nutzlos, veraltet und abschaffungsreif deklariert.
So benehmen sich aber – ich bitte um Verzeihung – Neureiche, die urplötzlich zu großem Reichtum gekommen sind; in unserem Fall in Form der Weltvorherrschaft, der weltweiten Führungsrolle. Und anstelle dessen, dass sie diesen Reichtum intelligent und vorsichtig, und selbstverständlich auch zum eigenen Nutzen, einsetzen, haben sie, wie ich meine, eine ganze Menge zu Bruch gehen lassen.
Das Zeitalter der Doppellesarten und des Verschweigens hat in der Weltpolitik begonnen. Unter dem Druck eines Rechtsnihilismus hat das internationale Recht Schritt für Schritt seine Vorherrschaft zurückgefahren. Objektivität und Gerechtigkeit wurden der politischen Zweckmäßigkeit geopfert. Rechtliche Normen wurden durch willkürliche Interpretationen und befangene Urteile ersetzt. Dabei gestattete es die totale Kontrolle über die globalen Massenmedien auf Wunsch Weiß für Schwarz, und Schwarz für Weiß auszugeben.
Unter den Bedingungen der Dominanz einer Seite und ihrer Alliierten, oder anders gesagt, ihrer Satelliten, geriet die Suche nach globalen Lösungen oftmals zu einem Streben, die eigenen Lösungen als universell auszugeben. Die Ambitionen dieser Gruppe haben sich derart gesteigert, dass die in ihren Kreisen herausgearbeiteten Herangehensweisen als Meinung der gesamten Weltöffentlichkeit präsentiert wurden. Aber das ist nicht so.
Allein der Begriff “nationale Souveränität” ist für den Großteil der Staaten zu einer relativen Größe geworden. Im Grunde wurde die folgende Formel angeboten: je ausgeprägter die Loyalität zum einzigen Machtzentrum der Welt, desto höher die Legitimität der einen oder anderen Regierung.
Wir werden dann mit Ihnen in eine offene Diskussion eintreten, und ich werde sehr gern Fragen beantworten und es auch mir gestatten, Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Aber im Verlauf dieser Diskussion kann ja jemand von Ihnen einmal versuchen, diese gerade von mir formulierte These zu widerlegen.
Die Mittel, mit denen man auf die Widerspenstigen einwirkte, sind gut bekannt und vielfach erprobt: das sind militärische Maßnahmen, wirtschaftlicher und propagandistischer Druck, Einmischung in die inneren Angelegenheiten, Anrufung einer gewissen, “über dem Recht” stehenden Legitimität, wenn es darum geht, eine widerrechtliche Beilegung dieser oder jener Konflikte herbeizuführen, und die Beseitigung missliebiger Regierungen. In letzter Zeit gibt es Zeugnisse dafür, dass man gegen eine Reihe von Staatsoberhäuptern unverhohlene Erpressung eingesetzt hat. Es ist nicht von ungefähr, dass der sogenannte Big Brother Milliarden von Dollar dafür ausgibt, der ganzen Welt nachzustellen, und auch seine nächsten Verbündeten sind dabei Ziele.
Lassen Sie uns die Frage aufwerfen, inwieweit es für uns annehmbar, sicher und angenehm ist, in einer solchen Welt zu leben, inwieweit eine solche Welt gerecht und vernünftig ist. Vielleicht haben wir gar keinen triftigen Grund, besorgt zu sein, zu streiten und unangenehme Fragen zu stellen? Vielleicht ist die Einzigartigkeit der Vereinigten Staaten, die Art, auf die sie ihre Führungsrolle ausüben, etwas für alle wirklich Gutes, und ihre allgegenwärtige Einmischung in alle Angelegenheiten dieser Welt bringt in Wirklichkeit Ruhe, Wohlergehen, Fortschritt, Gedeihen und Demokratie – und wir sollten uns einfach entspannen und es genießen?
Ich erlaube mir zu sagen, dass es sich nicht so verhält. Es ist ganz und gar nicht so.
Das einseitige Diktat und das Aufzwingen der eigenen Schemata führt zu einem ganz gegenteiligen Resultat: anstelle einer Beilegung von Konflikten deren Eskalation; anstelle von souveränen, stabilen Staaten einen wachsenden Bereich des Chaos; anstelle von Demokratie die Unterstützung von höchst zweifelhaften Strömungen – von offenkundigen Neonazis bis hin zu islamistischen Radikalen. Und aus welchem Grunde werden sie unterstützt? Weil sie im Verlauf einer Etappe auf dem Weg zum Erreichen eines Ziels ausgenutzt werden, dann verbrennen sie sich daran – und es wird zurückgerudert. Ich wundere mich in einem fort darüber, wie unsere Partner Mal ums Mal, wie man bei uns in Russland zu sagen pflegt, auf ein und dieselbe Harke treten, das heißt, immer wieder dieselben Fehler begehen.
Seinerzeit sponserten sie extremistische islamische Bewegungen für den Kampf gegen die Sowjetunion, und in Afghanistan haben diese ihre Abhärtung bekommen. Daraus entstanden sowohl die “Taliban” als auch die “Al­Kaida”. Der Westen hat diese wenn schon nicht unterstützt, so doch mindestens seine Augen davor verschlossen, und ich würde sagen, er hat den Einfall internationaler Terroristen nach Russland und in die Länder Zentralasiens tatkräftig informationsmäßig, politisch, finanziell unterstützt; das haben wir nicht vergessen. Erst, nachdem es schreckliche Terrorangriffe auf dem Territorium der Vereinigten Staaten selbst gegeben hat, kam das Verständnis für die allgemeine Bedrohung, die der Terrorismus darstellt. Ich möchte daran erinnern, dass wir damals die ersten waren, die das Volk der Vereinigten Staaten unterstützt haben, wir reagierten wie Freunde und Partner auf die schreckliche Tragödie des 11. September.
Im Verlauf der Gespräche mit Führungskräften der USA und Europas spreche ich ständig von der Notwendigkeit, gemeinsam gegen den Terrorismus als einer Herausforderung von weltweiter Bedeutung vorzugehen. Mit dieser Herausforderung kann man sich nicht abfinden, man kann sie nicht eingrenzen, oder Doppelstandards zur Anwendung bringen. Man erklärte sich mit uns einverstanden, aber es verging nicht viel Zeit, und alles kehrte wieder zum Alten zurück. Es folgte die Einmischung sowohl im Irak, als auch in Libyen, und dieses Land wurde dann an die Grenze des Zerfalls gebracht. Warum hat man es denn eigentlich dahin gebracht? Es steht auch jetzt noch an diesem Abgrund und ist ein Übungsplatz für Terroristen geworden. Allein dank dem Willen und der Umsicht der jetzigen ägyptischen Führung ist es gelungen, Chaos und extremistische Exzesse in diesem Schlüsselland der arabischen Welt zu vermeiden. In Syrien gingen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten wie in guten alten Zeiten daran, Terrorbrigaden direkt mit Finanzen und Waffen zu versorgen, die Aufstockung ihrer Mannstärke durch Söldner aus verschiedenen Ländern zu begünstigen. Gestatten Sie die Frage, woher haben die Rebellen Geld, Waffen, Militärexperten? Woher kommt denn all das? Wie ist es zu erklären, dass diese berüchtigte, sogenannte ISIS, zu einer gewaltigen, de facto Armeegruppierung werden konnte?
Was deren finanzielle Zuströme angeht, so sind das zum heutigen Tag nicht nur Einkünfte aus dem Drogengeschäft, deren Produktion übrigens im Verlauf der Stationierung der internationalen Kräfte in Afghanistan nicht nur um ein paar Prozent, sondern vielfach gestiegen ist – das wissen Sie alle ­, sondern diese Finanzen resultieren auch aus dem Verkauf von Erdöl, das in Gebieten, die von den Terroristen kontrolliert werden, gefördert wird. Sie verkaufen es zum Spottpreis, sie fördern und transportieren es ungehindert. Aber es gibt ja solche, die es kaufen, weiterverkaufen und daran verdienen, ohne darüber nachzudenken, dass sie damit Terroristen finanziert, die früher oder später auch auf ihr Gebiet kommen werden, und sie werden kommen, um die Saat des Todes in ihren Ländern auszusäen.
Und woher kommen neue Rekruten? Im Irak sind infolge des Sturzes Saddam Husseins staatliche Institutionen, einschließlich der Armee, zerstört worden. Wir haben es damals noch gesagt: seid vorsichtig, wohin habt ihr diese Leute vertrieben? Auf die Straße! Und was sollen sie dort machen? Vergesst nicht, mag er nun gerecht oder ungerecht gewesen sein, aber sie saßen an den Hebeln eines nach regionalem Maßstab durchaus großen Staates – und wohin treibt ihr sie?
Was haben wir als Ergebnis? Zehntausende Soldaten und Offiziere, ehemalige Baath­Parteiaktivisten, die auf die Straße gesetzt worden sind, und sie sind es, die heute die Einheiten der Rebellenbanden anfüllen. Vielleicht ist es ja das, worin das Geheimnis der Operationsfähigkeit der ISIS besteht? Sie handeln vom militärischen Gesichtspunkt aus sehr effektiv, wir haben es mit wirklichen Profis zu tun.
Russland hat mehrfach vor einseitigen gewaltsamen Aktionen, vor Einmischungen in die Angelegenheiten souveräner Staaten, vor dem Anbandeln mit Extremisten und Radikalen gewarnt und darauf bestanden, dass man jene Gruppierungen, die gegen die syrische Zentralregierung vorgehen – vor allem die ISIS – auf die Listen terroristischer Organisationen setzt. Und was war das Ergebnis? Es gab keine Reaktion.
Mitunter bekommt man den Eindruck, dass unsere Kollegen und Freunde ständig mit den Ergebnissen ihrer eigenen Politik kämpfen, all ihre Gewalt in die Beseitigung der Risiken stecken, die sie selbst schaffen, und dafür einen immer höheren Preis zahlen.
Verehrte Kollegen! Der Moment der Unipolarität hat überzeugend aufgezeigt, dass die Erweiterung der Dominanz eines Gewaltmonopols nicht dazu führt, dass die globalen Prozesse steuerbarer werden. Im Gegenteil, eine solche instabile Konstruktion hat ihre Unfähigkeit bewiesen, effektiv gegen solche realen Bedrohungen wie regionale Konflikte, Terrorismus, Drogenschmuggel, religiöser Fanatismus, Chauvinismus und Neonazismus vorzugehen. Gleichzeitig hat sie der Äußerung von nationalem Eitelkeitswahn, der Manipulation der öffentlichen Meinung, grober Unterdrückung des Willens der Schwachen durch den Willen der Starken den Weg geebnet. Im Grunde ist eine unipolare Welt eine Apologie, sie ist die Apologetik der Diktatur, sowohl über Menschen als auch über Ländern. Diese unipolare Welt erwies sich übrigens sogar für den sogenannten, selbsternannten Führer als unbequem, unbewältigbar und schwer zu steuern, gerade jetzt wurde das auch laut gesagt, und damit bin ich vollkommen einverstanden. Daher rühren die heutigen Versuche, nun schon im neuen historischen Abschnitt, eine Art quasi­bipolares System als ein bequemes Modell für die Wiedererrichtung der – in diesem Fall – amerikanischen Dominanz zu etablieren. Es ist dabei nicht einmal wichtig, wer genau in der amerikanischen Propaganda die Rolle des “Zentrums des Bösen”, also den Platz der UdSSR als Hauptgegner einnimmt: ob der Iran, als ein Land, das nach Atomtechnologie strebt, oder China, als führende Weltwirtschaft, oder Russland, als eine Atom­Supermacht.
Wir sehen jetzt wieder Versuche, die Welt zu zerschlagen, Trennlinien zu ziehen, Koalitionen nicht für, sondern gegen beliebige Parteien zu bilden, und abermals ein Feindbild zu schaffen wie in Zeiten des “Kalten Krieges”. und damit das Recht auf die Führungsrolle, oder wenn Sie so wollen, das Diktat zu erlangen. Wir verstehen und wissen ja bereits, wie die Lage im Zeitalter des “Kalten Krieges” interpretiert wurde. Den Verbündeten der Vereinigten Staaten wurde immer gesagt: “Wir haben einen gemeinsamen Feind, er ist schrecklich, es ist das Zentrum des Bösen; wir werden euch, unsere Verbündeten, vor ihm schützen, folglich haben wir das Recht, euch zu befehlen, eure politischen und wirtschaftlichen Interessen zu opfern, Ausgaben für die kollektive Verteidigung zu machen, aber befehligen werden diese Verteidigung natürlich wir”. Kurz, heute gibt es das Bestreben, nun schon in der neuen, veränderten Welt die gewohnten Prinzipien einer globalen Beherrschung umzusetzen, und all das mit der Absicht, die eigene Außerordentlichkeit zu gewährleisten und daraus politisches und wirtschaftliches Kapital zu schlagen.
Dabei divergieren solche Versuche nicht nur mehr und mehr mit der Realität und widersprechen der Vielfältigkeit der Welt. Solche Schritte werden unvermeidlich zu Gegenreaktionen führen und einen gerade entgegengesetzten Effekt hervorbringen. Wir sehen doch, was passiert, wenn die Politik leichtfertig mit der Wirtschaft vermengt wird, wenn die Logik der Zweckmäßigkeit der Logik der Konfrontation nachgibt, selbst, wenn sie damit ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Positionen und Interessen aufgibt, einschließlich der Interessen der nationalen Unternehmen.
Gemeinsame Wirtschaftsprojekte, gegenseitige Investitionen sind es, die Länder objektiv näherbringen, dabei helfen, die laufenden Probleme in den internationalen Beziehungen abzumildern. Allerdings ist die weltweite Business­Community heute dem beispiellosen Druck der westlichen Regierungen ausgesetzt. Von welchem
Unternehmertum, von welcher wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit oder Pragmatismus kann denn die Rede sein, wenn das Motto “Das Vaterland ist in Gefahr, die freie Welt ist in Gefahr, die Demokratie ist in Gefahr” aufgeworfen wird? Man muss sich ja mobilisieren – und genau das ist die Politik des Mobilmachens.
Die Sanktionen unterminieren bereits die Grundlagen des Welthandels und die Regeln der WTO, das Prinzip der Stabilität des Privatvermögens, sie erschüttern das liberale Modell der Globalisierung, welches auf dem Markt, der Freiheit und der Konkurrenz beruht – ein Modell, dessen hauptsächliche Nutznießer, wie ich anmerken möchte, ja gerade die Länder des Westens sind. Jetzt riskieren sie Vertrauensverlust in ihrer Rolle als treibende Kräfte der Globalisierung. Man fragt, was denn nun zu tun sei? Denn das Wohlergehen beispielsweise der Vereinigten Staaten ist ja in weiten Teilen vom Vertrauen der Investoren dem der ausländischen Besitzer von Dollars und US­amerikanischer Wertpapiere abhängig. Und dieses Vertrauen wird offenkundig unterminiert; die Früchte der Enttäuschung von der Globalisierung findet man jetzt in vielen Ländern.
Der berüchtigte Präzedenzfall Zypern und politisch motivierte Sanktionen haben die Tendenzen in Richtung wirtschaftlicher und finanzieller Souveränisierung, zum Bestreben einzelner Staaten oder ihrer regionalen Vereinigungen, sich gegen das Risiko auswärtigen Drucks abzusichern, nur verstärkt So unternimmt bereits jetzt eine immer größer werdende Zahl an Staaten Versuche, sich aus der Dollarabhängigkeit zu befreien, alternative Finanzzentren und Reservewährungen zu etablieren. Unserer Meinung nach sägen unsere amerikanischen Freunde schlicht an dem Ast, auf dem sie sitzen. Man darf Politik und Wirtschaft nicht in einen Topf werfen, aber genau das ist es, was passiert. Ich war und bin der Meinung, dass politisch motivierte Sanktionen ein Fehler waren, ein Fehler, der allen nur Verluste bringt, und ich bin mir sicher, dass wir noch darüber reden werden.
Wir verstehen schon, wie und unter wessen Druck solche Entscheidungen getroffen wurden. Ich möchte betonen, dass Russland nicht die Pose eines Beleidigten annehmen oder jemanden um etwas bitten wird. Russland ist ein sich selbst genügendes Land. Wir werden unter den außenwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten, die sich ergeben haben, unsere Produktion und Technologien weiterentwickeln, entschiedener bei Umgestaltungen vorgehen, und der äußere Druck wird, wie das schon öfter der Fall war, unsere Gesellschaft nur konsolidieren, uns keine Gelegenheit geben, uns zurückzulehnen, ich würde sagen – er zwingt uns dazu, uns auf unseren wichtigsten Entwicklungsrichtungen zu konzentrieren.
Sicherlich stören uns die Sanktionen, mit diesen Sanktionen möchte man uns schädigen, unsere Entwicklung hemmen, uns in eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Isolation drängen – anders gesagt in die Rückständigkeit. Doch ich möchte unterstreichen – das habe ich bereits gesagt und wiederhole es ­, dass die Welt sich von Grund auf geändert hat. Wir haben es nicht vor, uns vor der Welt zu verschließen und uns für irgendeinen geschlossenen Entwicklungsweg, einen Weg der Autarkie zu entscheiden; wir sind immer dialogbereit, darunter auch in Fragen der Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, und ebenso auch der politischen Beziehungen. Wir rechnen hier mit einer pragmatischen Herangehensweise und pragmatischen Standpunkten der Businesskreise der führenden Länder der Welt.
Heute erklingen Behauptungen, Russland würde sich angeblich von Europa abwenden – wahrscheinlich ist das in den Diskussionen hier bereits angeklungen – Russland würde sich angeblich nach anderen Geschäftspartnern umsehen, vor allem solchen in Asien. Ich möchte sagen, dass das in keiner Weise stimmt. Unsere aktive Politik in der Asiatisch­Pazifischen Region gibt es nicht erst seit heute, sie hat nicht erst mit den Sanktionen begonnen, sondern bereits vor mehr als nur ein paar Jahren. Wir sind genau wie viele andere, darunter westliche Länder davon ausgegangen, dass der Osten einen Position von ständig wachsender Bedeutung in der Welt einnimmt, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, und man muss das natürlich berücksichtigen.
Ich möchte nochmals unterstreichen: alle tun das, und auch wir werden das tun, zumal ein bedeutender Teil unseres Staatsgebiets in Asien gelegen ist. Warum sollten wir auch darauf verzichten, unsere diesbezüglichen Vorteile zu nutzen? Das wäre doch einfach kurzsichtig.
Der Aufbau von Wirtschaftbeziehungen mit diesen Staaten, gemeinsame Integrationsprojekte sind ein wichtiger Stimulus für unsere eigene, innere Entwicklung. Die heutigen demographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Tendenzen zeugen davon, dass die Abhängigkeit von einer einzigen Supermacht natürlich ganz objektiv abnehmen wird, und davon reden und schreiben europäische und amerikanische Fachleute selbst.
Vielleicht erwarten uns in der Weltpolitik die gleichen Phänomene, wie in der globalen Wirtschaft, und das ist eine intensive Konkurrenz in der einen oder anderen konkreten Nische, ein häufiger Wechsel von Führungskräften in bestimmten Richtungen. All das ist möglich.
Es steht außer Frage, dass im globalen Wettbewerb die Rolle von humanitären Faktoren steigen wird: das sind Bildung, Wissenschaften, Gesundheit, Kultur. Das wird seinerseits Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen haben, auch deshalb, weil die Ressource der sogenannten sanften Gewalt größtenteils von realen Errungenschaften bei der Bildung von Humankapital abhängt, mehr, als von der Gerissenheit propagandistischer Kunstgriffe.
Gleichzeitig stellt die Heranbildung einer sogenannten polyzentrischen Welt – und darauf möchte ich, verehrte Kollegen, auch Ihre Aufmerksamkeit lenken – nicht von sich aus höhere Stabilität dar, eher sogar umgekehrt. Die Aufgabe bei der Heranbildung eines globalen Gleichgewichts bereitet einiges Kopfzerbrechen, ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten.
Was erwartet uns, wenn wir es vorziehen, nicht den Regeln gemäß zu leben, seien diese Regeln auch noch so streng und unbequem, sondern ganz ohne Regeln? Ein solches Szenario ist durchaus greifbar, man kann es nicht ausschließen, wenn man die aufgeheizte Lage in der Welt berücksichtigt. Bewertet man die heutigen Tendenzen, dann kann man schon eine Reihe an Prognosen abgeben, und leider sind diese nicht optimistisch. Wenn wir daran scheitern, ein fest umrissenes System gegenseitiger Verpflichtungen und Vereinbarungen zu schaffen, keine Mechanismen aufbauen, die Krisensituationen aufzulösen helfen, dann werden die Anzeichen einer weltweiten Anarchie sich nur verstärken.
Bereits heute ist die Wahrscheinlichkeit einer ganzen Reihe an verschärften Konflikten mit wenn nicht direkter, so doch mittelbarer Beteiligung von Großmächten enorm angestiegen. Dabei sind nicht nur die traditionellen Widersprüche von Staaten untereinander, sondern auch die innere Instabilität einzelner Staaten ein Risikofaktor, besonders, wenn es um solche Länder geht, die an den Nahtstellen geopolitischer Interessenssphären von Großmächten oder entlang von kulturhistorischen und wirtschaftlichen Grenzen zivilisatorischer “Kontinente” liegen.
Die Ukraine, von der hier sicher bereits viel die Rede war und auch noch die Rede sein wird, ist ein Beispiel für diese Art von Konflikten, die Auswirkung auf das weltweite Kräfteverhältnis haben – und dabei denke ich, dass dies bei weitem noch nicht der letzte dieser Art ist. Hieraus folgt die greifbare Perspektive der Zerstörung des bisherigen Systems der Vereinbarungen über die Begrenzung und Kontrolle der Arten von Bewaffnung. Den Beginn dieses gefährlichen Prozess legten zweifelsohne die Vereinigten Staaten von Amerika, als sie im Jahre 2002 einseitig aus dem ABM­Vertrag zurücktraten, und darauf daran gingen und es heute noch aktiv betreiben, ihr eigenes globales Raketenabwehrsystem aufzubauen.
Verehrte Kollegen und Freunde! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass nicht wir mit diesem Prozess angefangen haben. Wir verfallen erneut in jene Zeit, als nicht ein Gleichgewicht von Interessen und gegenseitiger Garantien, sondern die Angst, ein Gleichgewicht der potentiellen gegenseitigen Vernichtung die Länder von direkten Konfrontationen abhält. Aufgrund des Fehlens von rechtlichen und politischen Instrumenten kehren die Waffen zentral auf die globale Tagesordnung zurück, sie werden überall und auf jede erdenkliche Weise eingesetzt, auch ohne Resolutionen des UN­Sicherheitsrats. Wenn jedoch der Sicherheitsrat es ablehnt, diese Art von Entscheidungen mit zu produzieren, dann wird er sogleich als veraltet und zu einem ineffizienten Instrument erklärt.
Viele Staaten sehen keine andere Garantie für die Gewährleistung der eigenen Souveränität mehr, als die Anschaffung einer eigenen “Bombe”. Das ist höchst gefährlich. Wir bestehen auf einer Fortführung der Gespräche, wir befürworten nicht einfach nur Gespräche, sondern wir bestehen auf einer Fortführung der Gespräche zur atomaren Abrüstung. Je weniger Atomwaffen es auf der Welt gibt, desto besser. Wir sind zu ernsthaften und gegenständlichen Gesprächen in Fragen der atomaren Abrüstung bereit, aber diese sollten schon wirklich ernsthaft sein – wie man sagt, ohne Doppelstandards.
Was meine ich damit? Heute sind viele Arten von Präzisionswaffen in ihren Möglichkeiten schon sehr nahe an Massenvernichtungswaffen gerückt, und im Falle eines vollständigen Verzichts auf das Atompotential oder im Falle einer bedeutenden Reduzierung der Arsenale werden die Länder, welche in der Schaffung und der Herstellung von Präzisionssystemen führend sind, offenkundig einen militärischen Vorteil erlangen. Die strategische Parität würde gebrochen, und das bringt Destabilisierung mit sich. Es kommt zur Versuchung, den sogenannten ersten globalen Entwaffnungsschlag zu führen. Kurz, die Risiken werden nicht geringer, sondern größer.
Die nächste offensichtliche Bedrohung ist eine Ausweitung von Konflikten auf ethnischer, religiöser und sozialer Grundlage. Solche Konflikte sind nicht nur an sich gefährlich, sondern sie bilden um sich herum Zonen von Anarchie, Gesetzlosigkeit und Chaos, wo sich sowohl Terroristen, als auch herkömmliche Verbrecher wie zu Hause fühlen, wo die Piraterie, der Menschenhandel und das Drogengeschäft blühen.
Übrigens haben unsere Kollegen seinerzeit versucht, diese Prozesse irgendwie zu steuern, sich regionale Konflikte zunutze zu machen, “farbige Revolutionen” in ihrem Interesse zu konstruieren, aber der Geist entwich der Flasche. Was man nun mit ihm macht, verstehen, so scheint es, die Autoren der Theorie des gelenkten Chaos selbst nicht. In ihren Reihen herrschen Zwiespalt und Uneinigkeit.
Wir beobachten die Diskussionen sowohl bei den herrschenden Eliten, als auch in Fachkreisen genauestens. Es genügt, sich die Überschriften in der westlichen Presse im Verlauf des vergangenen Jahrs anzusehen: ein und dieselben Leute werden einmal Kämpfer für Demokratie, und später Islamisten genannt, erst schreibt man von Revolutionen, dann von Pogromen und Umstürzen. Das Ergebnis liegt auf der Hand: es ist die Ausweitung des globalen Chaos.
Verehrte Kollegen! In einer solchen Lage in der Welt wäre es an der Zeit, sich zu grundsätzlichen Fragen zu einigen. Das ist außerordentlich wichtig und notwendig, und weit besser, als sich in verschiedene Ecken zu begeben, zumal wir es mit gemeinsamen Problemen zu tun haben, und, wie man sagt, in einem Boot sitzen. Der logische Weg wäre der einer Kooperation von Ländern und Gesellschaften und die Suche nach gemeinsamen Antworten auf vermehrt auftretende Fragen, ein gemeinsames Risikomanagement. Leider ist es so, dass einige unserer Partner sich erst dann daran erinnern, wenn das in ihrem Interesse liegt.
Die praktische Erfahrung zeigt, dass gemeinsame Antworten auf Herausforderungen erstens nicht immer ein Allheilmittel sind, das muss man natürlich anerkennen, und zweitens sind sie in der Mehrzahl der Fälle auch schwer zu erreichen, denn es ist viel zu schwierig, die Differenzen zwischen den jeweiligen nationalen Interessen, bei subjektiven Herangehensweisen zu überwinden, besonders, wenn es um Länder geht, die verschiedenen kulturhistorischen Traditionen angehören. Trotz alledem haben wir Beispiele dafür, wie man, sofern man sich von gemeinsamen Zielen leiten lässt und auf der Grundlage von einheitlichen Kriterien arbeitet, gemeinsam greifbare Ergebnisse erzielt.
Ich möchte an die Lösung des Problems mit den syrischen Chemiewaffen erinnern, ebenso an den sachlichen Dialog zum iranischen Atomprogramm, und selbst unsere Arbeit mit Nordkorea hat auch einige positive Resultate. Warum sollten wir nicht diese ganzen Erfahrungen auch im weiteren Verlauf bei der Lösung sowohl lokaler, wie auch globaler Probleme nutzen?
Was kann die rechtliche, politische, wirtschaftliche Grundlage einer neuen Weltordnung werden, welche Stabilität und Sicherheit gewährleisten würde, dabei eine gesunde Konkurrenz fördert und die Bildung von Monopolen verhindert, die der Entwicklung entgegenstehen? Schwerlich könnte darauf jemand jetzt ein umfassendes, fertiges Rezept liefern. Hier braucht es einer langen Arbeit unter der Beteiligung eines weiten Kreises an Staaten, der Weltwirtschaft, der bürgerlichen Gesellschaften oder solcher Fachforen, wie es das unsrige eines ist.
Allerdings ist es offensichtlich, dass ein Erfolg, ein greifbares Resultat erst dann möglich werden, wenn die Schlüsselfiguren des internationalen Lebens sich zu Basisfragen einigen können, zu einer vernünftigen Selbstbeschränkung, und zu einem Beispiel für eine positive, verantwortliche Führungsrolle werden. Es gilt, genau zu bestimmen, wo die Grenzen einseitiger Handlungen liegen und wo es mehrseitiger Mechanismen bedarf, und im Rahmen der Vervollkommnung des internationalen Rechts müssen wir das Dilemma zwischen den Handlungen der Weltgemeinschaft zur Gewährleistung von Menschenrechten und der nationalen Souveränität, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten auflösen.
Gerade solche Kollisionen sind es, die immer häufiger zu willkürlicher auswärtiger Intervention in komplizierte innere Prozesse führen, Mal ums Mal gefährliche Widersprüche zwischen den führenden Playern der Welt provozieren. Die Frage nach der Erhaltung von Souveränität wird geradezu zur wichtigsten Frage der Erhaltung und Festigung der weltweiten Stabilität.
Es ist dabei klar, dass die Diskussion über Gewaltanwendung von außen an sich schon höchst schwierig ist, es ist nahezu unmöglich, sie vom jeweiligen Interesse des einen oder anderen Landes zu trennen. Allerdings ist es weit gefährlicher, wenn es an für alle verständlichen Vereinbarungen, an exakt bestimmten Bedingungen fehlt, unter denen eine Einmischung notwendig und rechtmäßig wäre.
Ich möchte hinzufügen, dass die internationalen Beziehungen auf dem internationalen Recht beruhen müssen, in dessen Grundlage auch solche moralischen Prinzipien herrschen wie Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Wahrheit. Wahrscheinlich ist eine Achtung des Partners und seiner Interessen dabei das Wichtigste. Das liegt auf der Hand, man brauchte sich nur daran halten und die Weltlage würde sich von Grund auf ändern.
Ich bin davon überzeugt, dass – gäbe es nur einen Willen dazu – wir in der Lage sind, die Effizienz internationaler und regionaler Institutionen wiederherzustellen. Hier ist es nicht einmal notwendig, etwas komplett neu, von null oder “auf der grünen Wiese” zu erschaffen, zumal die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Institutionen durchaus universell sind und mit moderneren Inhalten, die der jetzigen Lage entsprechen, gefüllt werden können.
Das betrifft auch die Vervollkommnung der Arbeit der UNO, deren zentrale Rolle unersetzlich bleibt, und die der OSZE, welche im Verlauf von 40 Jahren unter Beweis gestellt hat, dass man eines solchen Mechanismus zur Gewährleistung von Sicherheit und Zusammenarbeit im euroatlantischen Raum bedarf. Anzumerken ist, dass auch jetzt bei der Beilegung der Krise in der Südost­Ukraine die OSZE eine sehr positive Rolle spielt.
Vor dem Hintergrund der Veränderungen im internationalen Bereich, dem Anwachsen von nicht zu steuernden, ganz verschiedenartigen Bedrohungen benötigen wir einen globalen Konsens der verantwortlichen Mächte. Die Rede ist nicht von irgendwelchen lokalen Abmachungen, auch nicht von einem Aufteilen von Interessenssphären im Sinne der klassischen Diplomatie, und auch nicht von irgend wessen Dominanz. Ich bin der Meinung, dass es einer neuen Version gegenseitiger Abhängigkeiten bedarf. Davor darf man sich nicht fürchten. Im Gegenteil, das ist ein gutes Instrument, um Positionen aufeinander abzustimmen. Das ist umso mehr aktuell, wenn man die Konsolidierung und das Wachstum einzelner Regionen des Planeten berücksichtigt, denn das verlangt nach einer institutionellen Gestaltung solcher Pole, nach der Schaffung von kräftigen regionalen Organisationen und nach einer Ausarbeitung von Regeln für ihre Zusammenarbeit. Eine Kooperation solcher Zentren würde einiges zur Stabilität der weltweiten Sicherheit, Politik und Wirtschaft beitragen. Aber um einen solchen Dialog in die Wege zu bringen, muss man davon ausgehen, dass alle regionalen Zentren und die sich um sie heranbildenden Integrationsprojekte die gleichen Rechte auf Entwicklung haben, auf dass sie einander ergänzen und niemand dazu in der Lage wäre, sie künstlich miteinander in Kollision und in Widerspruch zu bringen. Denn die Folge einer solchen destruktiven Linie wäre eine Zerstörung der Verbindungen unter den Staaten, und die Staaten selbst wären schweren Prüfungen ausgeliefert, bis hin zu ihrer vollständigen Zerstörung. Ich möchte noch an die Ereignisse des vergangenen Jahres erinnern. Damals haben wir unseren Partnern – sowohl den amerikanischen, wie auch den europäischen – gesagt, dass übereilte, im Hintergrund getroffene Entscheidungen über, sagen wir, die EU­Assoziation der Ukraine, ernsthafte Risiken bergen, und dabei haben wir noch nicht einmal etwas über die Politik gesagt, wir sprachen nur von der Wirtschaft, von ernsthaften wirtschaftlichen Risiken, und zwar, dass solche eigenmächtigen Schritte die Interessen vieler dritter Länder, darunter auch Russland als wichtigstem Handelspartner der Ukraine, berühren, und dass eine breit angelegte Erörterung der entsprechenden Fragen vonnöten sei. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die Verhandlungen über einen Beitritt Russlands zur WTO ganze 19 Jahre gedauert haben. Das war eine sehr schwere Arbeit, aber am Ende stand ein gewisser Konsens. Warum erwähne ich das? Weil durch die Umsetzung des Assoziationsprojekts mit der Ukraine uns unsere Partner mit ihren Produkten und Dienstleistungen gewissermaßen durch die Hintertür ins Haus fallen, aber das war nicht abgemacht, und uns hat niemand nach unserer Meinung dazu gefragt. Die Gespräche zu allen Themen, die mit der EU­Assoziation der Ukraine zusammenhängen, haben wir beharrlich, aber – das möchte ich unterstreichen – vollkommen zivilisiert geführt, wir haben Motive und Argumente eingebracht und mögliche Probleme aufgezeigt. Aber niemand wollte uns hören oder mit uns sprechen, uns wurde einfach nur gesagt: das ist nicht eure Sache, das war’s, Ende der Diskussion. Anstelle eines schwierigen, aber wie gesagt, zivilisierten Dialogs wurde die Angelegenheit bis dahin gesteigert, dass es zu einem Staatsstreich kam, das Land ins Chaos gestürzt, die Wirtschaft und der soziale Bereich zerrüttet wurden und ein Bürgerkrieg mit unzähligen Opfern begann.
Wozu? Wenn ich meine Kollegen frage: wozu? – dann gibt es keine Antwort, niemand
hat eine Antwort darauf. So ist das. Alle zeigen Ratlosigkeit: das ist halt so passiert.
Man hätte nicht zu solchen Handlungen ermuntern dürfen, dann wäre das auch nicht passiert. Denn, ich habe ja bereits davon gesprochen, der vormalige Präsident
Janukowitsch hatte doch schon alles unterschrieben und war mit allem einverstanden.
Wozu war es nötig, das noch zu tun? Was war der Sinn? Was ist das denn, eine
zivilisierte Art, Antworten zu finden? Offenbar halten die, welche immer neue farbige Revolutionen produzieren, sich für geniale Künstler und können sich schon nicht mehr bremsen. Ich bin davon überzeugt, dass die Arbeit von integralen Vereinigungen und die Zusammenarbeit von regionalen Strukturen auf einem transparenten, verständlichen Grund fußen muss, und
als gutes Beispiel für eine solche Offenheit dient der Heranbildungsprozess der Eurasischen Wirtschaftsunion. Die Teilnehmerstaaten dieses Projekts haben ihre Partner vorab über ihre Plänen und die Parameter unserer Union informiert, über die Prinzipien ihrer Tätigkeit, die in vollkommenem Einklang mit den Prinzipien der Welthandelsorganisation stehen. Ich füge hinzu, dass wir es ebenso begrüßen würden, wenn es zu einem gegenständlichen Dialog zwischen der Eurasischen und der Europäischen Union käme. Darin haben wir übrigens bislang auch nur Ablehnung erfahren, und auch hier ist es unverständlich, aus welchem Grund – was gibt es denn Schlimmes daran? Und selbstverständlich würden wir angesichts einer solchen gemeinsamen Arbeit meinen – und das sagte ich bereits mehrfach und hörte positive Resonanz vieler unserer westlicher Partner, auf jeden Fall der europäischen ­, dass man sich über die Notwendigkeit der Heranbildung einer einheitlichen Raumes der wirtschaftlichen und humanitären Zusammenarbeit vom Atlantik bis zum Stillen Ozean unterhält. Verehrte Kollegen! Russland hat seine Wahl getroffen, unsere Prioritäten bestehen in einer weiteren Vervollkommnung der demokratischen Institutionen und einer offenen Wirtschaft, in einer beschleunigten inneren Entwicklung unter Berücksichtigung aller positiven derzeitigen Tendenzen der Welt und in der Konsolidierung der Gesellschaft auf Grundlage traditioneller Werte und des Patriotismus. Auf unserer Tagesordnung steht die Integration, diese Tagesordnung ist positiv und friedlich, wir arbeiten aktiv mit unseren Kollegen in der Eurasischen Wirtschaftsunion, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der BRICS und anderen Partnern zusammen. Diese Tagesordnung zielt auf die Entwicklung von Beziehungen der Staaten untereinander, und nicht auf deren Absonderung. Wir haben es nicht vor, irgendwelche Blöcke zusammen zu zimmern oder uns in einen Schlagabtausch ziehen zu lassen. Jeder Grundlage entbehren auch Behauptungen, Russland sei bestrebt, irgendein Imperium wieder zu errichten oder verletze die Souveränität seiner Nachbarstaaten. Russland verlangt nicht nach irgendeinem besonderen, außerordentlichen Platz in der Welt, das möchte ich betonen. Indem wir die Interessen der anderen achten, möchten wir einfach, dass man auch unsere Interessen berücksichtigt und unsere Position achtet.
Wir verstehen sehr gut, dass die Welt in ein Zeitalter der Veränderungen und tiefgreifender Transformationen eingetreten ist, in dem alle ein besonderes Maß an Vorsicht und Fähigkeit brauchen, unüberlegte Schritte zu vermeiden. In den Jahren nach dem Kalten Krieg haben die Teilnehmer an der Weltpolitik diese Qualitäten in gewissem Maße eingebüßt. Jetzt gilt es, sich wieder an sie zu erinnern. Im andern Fall werden sich die Hoffnungen auf friedliche, stabile Entwicklung als gefährliche Illusion erweisen, und die heutigen Erschütterungen wären dann die Vorboten eines Zusammenbruchs der Weltordnung.
Natürlich ist, und ich sagte das bereits, der Aufbau eines stabileren Systems der Weltordnung eine komplizierte Aufgabe. Die Rede ist von langwieriger und ihrem Wesen nach schwerer Arbeit. Wir haben es geschafft, Regeln für die Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu erarbeiten, wir konnten uns auch in den 1970er Jahren in Helsinki einigen. Unsere gemeinsame Verpflichtung besteht nun darin, dass wir diese fundamentale Aufgabe auch in dieser neuen Etappe der Entwicklung meistern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
V. d. S. d. P. Arbeitskreis Frieden der GBM*
Helmut Semmelmann
Quelle: http://www.kremlin.ru/news/46860 Horst Neumann, Friedensinitiative Bad Kleinen
Redaktionsschluss: 30. Oktober 2014 Vorgelegt von der *Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e. V.* 
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