Saturday, September 20, 2014

"Wir brauchen eine Bewegung, die täglich und überall präsent ist, bis wir alle in dieser Welt friedlich, gerecht und geschwisterlich leben können."

Offener Brief von Dr. Günter Rexilius, Dipl.-Psych. Mönchengladbach, Ausdruck des noch  hilflosen Nichteinverständnisses der Vielen mit dem aktuellen Kurs, in den eine verantwortungslose Politik uns immer tiefer hineinreitet. Ein Appell für  Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit
 
Die täglichen Emails zur Lage in der Welt haben mich bewogen, eine Bestandaufnahme zu formulieren, um die eigene Wut und Ohnmacht eine wenig los zu werden. Sie ist entstanden, bevor ich das bemerkenswerte Interview in der Tageszeitung "junge welt" am 13.9.2014 mit Willy Wimmer gelesen und am 14.9. in 3sat die Vorstellung von Volker Pispers gesehen und gehört habe - beide haben mich überzeugt, meine Überlegungen öffentlich zu machen. Erschreckend fand ich die Erkenntnis, dass ein Kabarettist eine radikal-treffende Analyse der herrschenden Zustände präsentiert, wie sie von keiner Partei, keiner Organisation, keiner Vereinigung o. ä. in der letzten Zeit zu hören oder zu lesen war. Ich meine, seine Einschätzung "Kabarett ist ein Ort, an dem man sich die Kritik an seinem Lebenswandel genauso folgenlos um die Ohren schlagen läßt wie in der Kirche" ist auch eine Aufforderung zum Handeln.

Kurze/politische Bestandsaufnahme mit praktischen Folgen

Die meisten Menschen wollen nicht in Kriege hineingezogen werden, die dann auch noch in ihrem Namen geführt werden. Die meisten Menschen wollen nicht, dass ihre Freiheit am Hindukusch oder an der russischen Grenze in Osteuropa verteidigt wird. Kaum jemand wünscht, dass für ihren/seinen materiellen Wohlstand Bodenschätze oder anderer natürlicher Reichtum, der Völkern oder Nationen irgendwo auf dem Globus gehört, mit Waffengewalt geraubt werden. Kaum jemand befürwortet die Produktion von Waffen und Waffensystemen. Sehr wenige sind dafür, dass Waffen exportiert und mit ihnen ganze Völker ausgerottet oder die europäischen Grenzen gegen Menschen gesichert werden, die um Einlass bitten, hungern und dursten, traumatisiert und hoffnungslos sind. Die meisten Menschen in Deutschland, in Europa, in der Ukraine, in Gaza, auch in Israel, in Syrien und wo immer, wollen in Frieden und Sicherheit und ohne Angst leben.

Die meisten Menschen wollen auch ernst genommen und respektiert werden. Sie wollen, dass ihre Wünsche nach einem friedlichen und angstfreien Leben erfüllt werden. Sie erwarten, dass die Gesellschaft jedem Menschen ein würdevolles Leben sichert, sozial gerecht ist und kein Kind systematisch ausschließt oder benachteiligt. Und sie fürchten sich vor einer Welt, in der Gift und andere Schadstoffe ihre Gesundheit ruinieren und die Natur, auf deren Wohlwollen sie angewiesen sind, zerstört. Diese und andere bedrohliche Szenarien aber drängen sich mit jedem Tag massiver und bedrohlicher in unseren Alltag, in unser Leben und das unserer Familien, unserer Kinder. Viele Menschen fühlen sich ohnmächtiger und hilfloser denn je. Und viele machen sich bemerkbar, schreiben und unterstützen Appelle, Leserbriefe, Verlautbarungen. Die einschlägigen Internetseiten vieler Verbände und Vereine und NGOs sind voller Äußerungen besorgter Mitmenschen.

Ihre ganz banalen weil lebensnahen Anliegen richten sich mit besonderem Nachdruck an die gewählten PolitikerInnen, die in Parlamenten und Regierungen sitzen. Und in jeder neuen Wahlperiode machen die meisten Menschen die gleichen Erfahrungen: Ihre Anliegen werden nicht nur nicht ernst genommen, ihnen wird demonstriert, dass Verlogenheit und Wortbruch die vorherrschenden Charakteristika der politischen Klasse geworden sind. Nein, man muss es noch deutlicher sagen: In den letzten zwanzig Jahren ist dieses politische Handlungsmuster zum bestimmenden Prinzip ihrer Politik geworden. Die Hoffnung, dass Nachkriegszeit und europäische Integration eine Zivilgesellschaft geschaffen haben könnten, die durch Friedfertigkeit, demokratisches Selbstverständnis und von einem universellen Gerechtigkeitsverständnis geprägt ist, hat sich, spätestens mit Beginn des letzten Balkankrieges, verflüchtigt.

Meinungen, Vorstellungen, Wünsche, Bedürfnisse des weitaus größten Teils der Bevölkerungen spielen bei politischen Planungen und Entscheidungen nur noch eine plakative Rolle. Politik hat sich von den Menschen, deren Interessen und Lebensbedürfnisse sie vertreten soll, gelöst. Wir erleben eine Eskalation der Konfliktszenarien, an der EU und Nato offensiv und entscheidend beteiligt sind: In allen Krisenherden haben ihre militärischen, geheimdienstlichen und aufrüstenden Aktivitäten dazu beigetragen, Situationen zu schaffen, auf die dann mit mehr oder weniger lautem Säbelrasseln reagiert werden kann – sozusagen eine politisch durchkomponierte Self-fulfilling Prophecy, egal ob im Nahen Osten, in der Ukraine, in Syrien, in Libyen, in Afghanistan, im Irak und und... Wer etwa in Bezug auf den sog. Ukraine-Konflikt die Nato-Landkarte von vor 20 Jahren mit der heutigen vergleicht, bekommt einen erschreckenden Eindruck von der konflikttreibenden strategischen Inszenierung gegen Russland. Putin hin, Putin her – europäische und Nato-Politik haben sich in einem erschreckenden, bedrohlichen, beängstigenden Ausmaß militarisiert, die Rolle, die EU und Nato in der Ukraine und an vielen anderen Orten waffentechnisch, geheimdienstlich und personell spielen, setzt den kalten Krieg fort und forciert den heißen.

Wenn die Widersprüche zwischen politischem Handeln und Meinung und Wollen der meisten Menschen sich immer weiter zuspitzen, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr ausreicht, Appelle zu verfassen und Artikel zu schreiben. Wer sie täglich liest, spürt vielleicht, wie beklommene Gefühle in seinen Eingeweiden hochkriechen, weil mit jeder Meinungsäußerung gewisser wird: Kein Wort, kein Satz, kein Kommentar im Radio oder Interview im Fernsehen, ändert etwas an dem Horrorszenario, das vor unseren Augen und bei unserem vollem Bewusstsein mit immer größerem Tempo inszeniert wird. Die Zeit der Worte, der gepflegten und vielleicht auch engagierten Diskurse, ist vorbei. Nein, Steine und Molotowcocktails werfen wollen die meisten von uns nicht. Aber wir müssen über angemessene Handlungsmodelle nicht nur nachdenken, wir müssen sie entwickeln, um aufzuhalten, was wie eine immer bedrohlicher werdende Welle über uns hinweg schwappt, wie ein kriegerisch-gewalttätiger Tsunami.

Es gibt keine Hoffnung mehr, dass über politische Institutionen und Gremien Veränderungen möglich werden könnten, die einen Mehrheitswillen umsetzen. Die parlamentarische Demokratie hat abgewirtschaftet, sich selbst ad absurdum geführt, indem die politisch Verantwortlichen ihren Lebensnerv, die Grundlage ihrer Existenzberechtigung, systematisch zerstört haben: Das Vertrauen, die gewählten „Volksvertreter“ könnten sich ihren Wählern verpflichtet fühlen, ihre Interessen im Parlament vertreten und ihre Versprechen vor der Wahl halten, ist aufgebraucht. Entmündigende Absurditäten wie Fraktionszwang, oder die gerade bei lebenswichtigen Themen geheimen Beratungen und Entscheidungen hinter verschlossenen Türen ohne öffentliche Kontrolle, die demokratisches Selbstverständnis verhöhnen, oder der Diebstahl von Hunderten von Milliarden an Steuergeldern im Zuge der sog. Finanzkrise, um Banken und ihre Bosse und Manager immer reicher und verantwortungsloser zu machen, oder die vielfältigen Formen der korrupten Dienstbarkeit von PolitikerInnen für mächtige Gruppeninteressen; oder die Privatisierung von Gesetzgebungen, die mehr und mehr von fürstlich entlohnten Lobbyisten verfasst werden – all diese und viele andere Knebelungen demokratischer Grundsätze demonstrieren eine so infame Gleichgültigkeit gegenüber den meisten Menschen, dass Demokratie zu einer scheinheiligen Phrase verkommen ist. Ein Hoffnungsschimmer, sie könnte irgendwie runderneuert werden, ist nicht zu sehen.

Wie dringend eine Veränderung unserer Handlungsmuster ist, machen die täglichen Verlautbarungen der sog. „politisch Verantwortlichen“ deutlich: Frau Merkel und Frau von der Leyen treiben, unterstützt von Herrn Gabriel, die militärisch-kriegerischen  Aktivitäten immer weiter voran, einschließlich der Waffenlieferungen, die wie Öl ins Feuer der Konflikte wirken; den politischen Parteien in Deutschland und anderswo fehlt Bereitschaft oder Wille, gegen Entmündigung und Kriegstreiberei aufzustehen; die neue                           EU-Außenbeauftragte strotzt vor Dummheit, wie ihre ersten öffentlichen Äußerungen zur Ukraine zeigen, und wird nachplappern, was die wollen, die in der EU mächtig sind, also „das Sagen haben“; die Nato rüstet weiter auf und lässt sich von polnischen und baltischen ScharfmacherInnen aufhetzen, deren Neurosen und Ranküne zu einer Bedrohung für uns alle werden; Katar, Saudi-Arabien und andere arabische Unterstützer des IS werden weiter hofiert und mit jeder gewünschten Waffe versorgt; mit CETA und TTIP verkauft die Politik sich endgültig und unumkehrbar an ökonomische Profiteure, Spekulanten und Schmarotzer und erstickt die letzten demokratischen Fünkchen; usw. – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Dieser Realität ins Gesicht blicken heißt, nicht länger an Wahlurnen eine pseudodemokratische Attrappe zu stützen. Es ist an der Zeit, mit den Füßen oder mit Taten abzustimmen: millionenfach, weltweit, unermüdlich. Wir brauchen nicht nur Demos mal zu diesem oder jenem Problem – sie werden von den politischen und ökonomischen Drahtziehern belächelt oder gleich ganz ignoriert, ihre Wirkung gleicht der eines David, der mit der Wasserpistole sein Leben verteidigt. Wir brauchen etwas einer Steinschleuder Vergleichbares, zeitgemäß aber wirkungsvoll, damit wir uns gegen diesen Goliath wehren und, das Wichtigste überhaupt, damit unsere Kinder noch überleben können. Wir brauchen eine Bewegung, die täglich und überall präsent ist, bis wir alle in dieser Welt friedlich, gerecht und geschwisterlich leben können. Unsere Stärken sind unsere Utopien und Hoffnungen und die große Zahl derer, die unterdrückt, ausgebeutet und ausgenutzt werden, die leiden und sich ein zufriedenes, würdevolles Leben wünschen.

Vielleicht kann das Internet unsere „Waffe“ sein, das heute bis in den letzten Winkel hinter dem Horizont reicht. Es könnte die moderne Steinschleuder werden: Ein Aufruf weltweit, damit vielleicht viele Menschen zu reagieren beginnen, vielleicht erst einmal nur zehn Minuten demonstrativ stehen und schweigen; jeden Tag wiederholt, mit Ausdauer aber Überzeugung, dass es funktionieren könnte. Und wenn jeden Tag nur tausend Menschen mehr mitmachen, könnte innerhalb kurzer Zeit eine Massenbewegung entstehen, die zu ignorieren nicht mehr möglich ist. Bis Millionen Menschen auf der ganzen Welt alles lahmlegen, was ihnen schadet und sie leiden lässt.

Mag sein, dass die Idee naiv ist, aber es ist eine. Ist ja auch egal, denn klar ist: Wir brauchen, nicht übermorgen sondern heute, Initiativen, Aktionen, Eingriffe, Einmischungen mit Tiefen- und Breitenwirkung. Und jetzt kommt ein gefährliches Zitat aus der Schmuddelkinder-Ecke, von Ulrike Meinhoff und deshalb angesichts des gegenwärtig düster inszenierten Terrorwahns besonders verdächtig und gegen die guten Sitten des demokratischen Schein-Dialogs verstoßend – aber so verdammt wahr und zeitgemäß: „Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht. Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß alle andern auch nicht mehr mitmachen. “

Wenn wir einfach weitermachen, unzufrieden und voller Wut im Bauch, aber die Dynamik der Politik und der Ökonomie, die dabei sind, unsere Lebensgrundlagen zu vernichten, nicht mit den gewaltfreien Gewaltmitteln (?), die wir zur Verfügung haben, mit unerbittlichem Widerstand, unterbrechen, geben wir uns und die Kinder, denen wir das Leben geschenkt haben, auf. Es gibt keinen Gandhi mehr, aber es gibt eine unüberschaubare Fülle von Menschen, die nicht korrumpierbar und voller Tatendrang sind. Sie müßten zusammenfinden. Vielleicht sogar, ganz sollten wir diese Hoffnung nicht aufgeben, zu einer demokratischen Renaissance, die mit einer „Partei für Frieden und Gerechtigkeit“ beginnen könnte. Frieden und Gerechtigkeit: Diese beiden Ziele sind so einfach wie umfassend, verkümmern aber in irgendwelchen Floskelspeichern, praktisch-politisch werden sie bis zur Unkenntlichkeit zertrampelt, entstellt. Aber sie sind die Grenzsteine für eine Welt, die den Fähigkeiten des homo sapiens angemessen wäre. Vielleicht würden sie auch den Unzähligen, die mutlos, verzweifelt, resigniert und deshalb wie gelähmt sind, Hoffnung machen und sie zum Handeln ermuntern.

(Dr. Günter Rexilius, Mönchengladbach)

Dr. Günter Rexilius Dipl. -Psych., Priv. -Doz. Psychol. Psychotherapeut 
Vereinsstr. 17 
41189 Mönchengladbach 
Tel. +49 (0) 2166-950545 (Praxis) 
Tel. +49 (0) 2166-950544 (privat) 
Fax +49 (0) 2166-950546

Israelische Soldaten kritisieren Besatzung: Die Tapferen

Von Julia Amalia Heyer, Tel Aviv

43 ehemalige Soldaten aus einer Geheimdiensteinheit prangern Israel als Besatzungsregime an. Es ist eine harsche Abrechnung und ein mutiger Schritt - für die meisten Israelis sind sie Verräter.

David heißt nicht David, aber seinen richtigen Namen darf man nicht nennen. Er ist 29 Jahre alt, acht davon war er Mitglied des Militärgeheimdienstes der israelischen Armee. Bis er vor drei Jahren aus dem aktiven Dienst ausschied, diente er der Eliteeinheit 8200 als Kommandant. Danach war er noch Reservist, doch das ist vorbei. Jetzt sitzt er in Ringelshirt und Jeans auf einer Fensterbank, die Sonne, die durch die Jalousien fällt, schraffiert seinen Rücken. "Ich habe meinen Job sehr ernstgenommen", sagt David, und es passt zu seinem schmalen, ernsten Gesicht. Acht Jahre sind eine lange Zeit.



Aber irgendwann ging es nicht mehr: Da waren all die Fragen, auf die er keine Antwort bekam. Viele Lügen. Und immer wieder der Satz: "Es gibt keine falschen Befehle." Als guter Soldat befolgt man Befehle. Man stellt sie nicht in Frage.
Man denkt deshalb lieber nicht länger darüber nach, warum die sexuelle Orientierung eines Palästinensers für den israelischen Geheimdienst so wichtig ist, oder wofür die Information über eine schwere Krebserkrankung der Ehefrau verwendet werden kann. David hat solche Informationen gesammelt, jahrelang. Er hat sie weitergegeben, an seine Vorgesetzten. Und wusste natürlich, dass diese Menschen, die ganz klar kein Sicherheitsrisiko für sein Land darstellten, damit von der Armee und den Geheimdiensten zur Zusammenarbeit erpresst werden.
David schüttelt den Kopf und erklärt sein Problem: "Hier geht es nicht um die Selbstverteidigung des israelischen Staates, hier geht es darum, ein anderes Volk so effektiv wie möglich zu unterdrücken." Und weil das seiner Ansicht nach so nicht sein soll, sitzt er jetzt zusammen mit drei Gleichgesinnten in der Wohnung seiner Eltern und erläutert seine Entscheidung.
Die drei haben, gemeinsam mit 40 anderen ehemaligen Militärgeheimdienstlern, einen Brief an Premierminister Benjamin Netanjahu geschrieben, an den Chef der Armee und des Militärgeheimdienstes. Darin steht, dass sie, allesamt Veteranen der Eliteeinheit 8200 und bis heute Reservisten, sich nie mehr an "Aktionen gegen Palästinenser" beteiligen werden. Weil sie keine "Instrumente der israelischen Besatzung" sein wollen.
Seit 47 Jahren besetzt Israel nun das Westjordanland und "das Militärregime verweigert den Palästinensern dort Grundrechte", wie es in dem Brief heißt. Die dort geschaffene Realität, in der für jüdische Siedler und palästinensische Anwohner zwei unterschiedliche Rechtssysteme gelten, die einem Teil - den Siedlern - Rechte zubilligen, die sie dem anderen Teil - den Palästinensern - verweigern, sei "kein unausweichliches Ergebnis einer notwendigen Selbstverteidigung". Diese Realität sehe so aus, weil die israelischen Regierungen sie sukzessive so gewählt hätten. Genauso verhalte es sich auch mit Entscheidungen zur Landenteignung, mit dem Verlauf der Sperranlage, oder mit wirtschaftlichen Restriktionen.

Ein moralisches Dilemma kennt die Armee nicht

Es ist die erste offene Verweigerung dieser Art seit 14 Jahren und eine harsche Abrechnung mit dem Vorgehen Israels als Besatzungsmacht. Denn die Kritik kommt diesmal aus dem Herzen des Systems, der Armee nämlich, das die Besatzung aufrecht hält.
Die Courage derjenigen, die diesen Brief unterzeichnet haben, ist umso höher zu schätzen, als dass der Hass auf Menschen, die dem immer nationalistischeren Mainstream nicht folgen wollen, selten so offen zutage tritt wie derzeit.
Er habe Angst, von Freunden und Kollegen als Verräter beschimpft zu werden, sagt David. Aber die Angst war nicht größer als sein schlechtes Gewissen. "Was wir im Westjordanland und im Gaza-Streifen tun, ist nicht richtig", sagt er. Und selbst wenn es einem dauernd gesagt werde, das Informationen-Sammeln sei eben "keine saubere Sache". David glaubt, dass das "System Armee" deshalb so gut funktioniert, weil jedem einzelnen - egal ob Geheimdienstler oder Luftwaffenpilot - suggeriert werde, er trage für das, was er tue, keine Verantwortung. Weil er ja nur die Befehle befolge.


Ihm selbst wurde bewusst, wie manipulativ dieses System ist, als er den Fall einer sogenannten gezielten Tötung recherchierte, die anders, als seine Vorgesetzten behaupteten, nicht der Sicherheit seines Landes diente, sondern einen reinen Racheakt darstellte. Ein Racheakt, bei dem völlig unschuldige Zivilisten, in diesem Fall eine ganze Familie, ums Leben kamen.

Ein moralisches Dilemma kenne die Armee nicht, sagt Noa, auch sie gehört zu den Unterzeichnern des Briefs. "Wir können alles, deshalb dürfen wir alles", laute die Maxime. Während die Zahl der Unschuldigen, die diesem Prinzip zum Opfer fallen, stetig steigt - bestes Beispiel dafür ist der letzte Gaza-Krieg - stumpft die israelische Bevölkerung immer mehr ab, wenn es um das Leid anderer geht. Wurde vor zehn Jahren noch über gezielte Tötungen als militärisches Mittel kontrovers diskutiert, gehören sie inzwischen zum probaten Repertoire. Auch aus diesem Grund haben sich die Geheimdienst-Reservisten entschlossen, ihre Zweifel in die Öffentlichkeit zu tragen. Palästinenser seien für die israelische Armee mittlerweile weniger Menschen, als vielmehr bloße "Ziele", sagt Nadav, der fünf Jahre lang gedient hat, zuletzt als Unteroffizier.
Was man mit diesen "Zielen" alles erreichen kann, davon will er jetzt nichts mehr wissen.
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Ekkehart Drost
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