Thursday, August 30, 2012

"When pigs have wings"

Ich habe mir gestern den am 2. August in einigen Kinos angelaufenen Spielfilm "Das Schwein von Gaza" angesehen, obwohl mich der deutsche Titel  auf Grund seines negativen Konnotationsangebots gegenüber den Palästinensern ziemlich stark irritiert hat.  In weiten Teilen  stimme ich mit der unten stehenden Rezension aus der Zeitschrift "Zenith" überein. Der Debütfilm von Estibal ist ein wertvoller, um Menschlichkeit ringender Beitrag zur Leidensthematik des palästinensischen  Volkes von Gaza. Auf humoresk-skurile, teils auch  märchenhafe Weise bringt der  Steifen mit einigem Realismus für  nach Unterhaltung gierende Zuschauer die tragisch-obszöne Realität im größten Freiluftgefängnis der Erde, mit 1,5 Millionen "Insaßen" zumindest wieder in Erinnerung. Er knüpft an den Streifen Aisheen – Still alive in Gaza von Nicolas Wadimoff an,der  im Februar 2009, einen Monat nach dem Ende der israelischen Militäroffensive gedreht wurde.

  1. Allerdings zeigt sich im Debütfilm des Franzosen Sylvain Estibals , dass auch er in seinem Bild, das er von den "Fundamentalisten" zeichnet,  dem üblichen Klischee aufsitzt, obwohl es ihm doch offensichtlich um den Abbau von solchen Stereotypen geht und ihm sein Anliegen in Bezug auf  die jungen israelischen Besatzungssoldaten und die Siedler sehr gut gut gelingt. In der Figur der Jelena, der jungen russischen Einwanderin, die dem palästinensischen Fischer das Schweinesperma abkauft für ihre Schweinezucht, kommen  die illegalen  Eindringlinge zu positiv davon. Die "Fundamentalisten" dagegen, die ja in Gaza ein Sinnbild für die hierzulande immer als "radikal-islamistisch" zitierte Hamas  abgeben müssen, werden als kaltherzig, brutal und über Sauß und Braus verfügend charakterisiert , also überaus negativ stilisiert, wie üblich. Dagegen ist Einspruch anzumelden und Befassung mit der Sache zu fordern, etwa mittels Lektüre von Helga Baumgartens Texten
  2. Ein Schwein auf Friedensmission
  3. Jannik Veenhuis

    »Das Schwein von Gaza« lässt den Wutschrei über die absurde Situation im Gazastreifen in einem Lachen ersticken, in dem es sie auf die Spitze treibt und auf Optimismus setzt. Mit Erfolg.

    Es läuft nicht gut für den armen Fischer Jafaar: Statt Meeresgetier geht ihm nur Unrat ins Netz; dafür erntet er umso mehr spöttische Blicke von seinen Kollegen und strafende von seiner Frau. Nun haben zu allem Überfluss auch noch zwei israelische Soldaten auf dem Dach seines Hauses Stellung bezogen. Doch das Schicksal hält einen weiteren Schlag für ihn bereit: In Jafaars Netz hat sich ein schwarzes Hängebauchschwein verfangen – und steht plötzlich quicklebendig an Deck seines kleinen Fischerbootes.

    Nach dem ersten Schock wird schnell klar: Das Schwein muss weg. Jafaar bringt es jedoch nicht über sein weiches Herz, das Tier zu erschießen, der deutsche UN-Beamte will es auch nicht haben und zu den Israelis wird ein Fischer, der Fleisch verkaufen will, gar nicht erst vorgelassen. Doch Jafaar gibt nicht auf: Von einem Freund, dem Friseur, erfährt er, dass einige Israelis Schweine züchten – auf Brettern, damit sie den heiligen Boden nicht besudeln. Und tatsächlich findet sich eine Interessentin: Die russische Jüdin Yelena von der anderen Seite des Zauns hat Verwendung für die Potenz des Schweins und verspricht, gut zu zahlen.

    Die Kasse klingelt, aber da das Sperma ohne Schwein seinen Dienst nicht tut, muss Jafaar das unreine Tier nun jeden Tag in einem Fahrradanhänger zum Zaun fahren und versteckt es über Nacht zuhause in der Badewanne. Hier bleibt es natürlich von seiner Frau Fatima nicht unentdeckt: Sie erzählt ihrem Mann, dass die Israelis die Schweine nur zum Aufspüren von Sprengstoff züchten und er sich somit als Verräter verdächtig macht – prompt stehen auch schon die Islamisten vor der Tür. Aus der Not heraus behauptet Jafaar, er habe einen Anschlag mit dem Schwein geplant und wird zum Martyrium inklusive Bekennervideo gezwungen. Zwar wird niemand verletzt, aber das Video läuft auf allen Kanälen.

    Jafaars Frau muss das Haus räumen, Yelena versucht das Schwein vor dem sicheren Tod zu retten und Jafaar selbst ist auf der Flucht vor den Islamisten, denen es so gar nicht passt, dass er überlebt hat. Das Grüppchen um das schwarze Hängebauchschwein flieht aufs Meer hinaus.

    »Ein vom Lachen erstickter Wutschrei«

    Mit seinem Erstlingswerk hat sich Sylvain Estibal Großes vorgenommen: Eine Geschichte aus einem Landstrich zu erzählen, der so überladen ist von Vorurteilen, politisch-religiöser Ideologie und blindem Hass, dass ein objektiver Blick nicht möglich scheint. Estibal, der bereits 2004 mit einem Fotoprojekt im Westjordanland auf sich aufmerksam machte, gibt sich umso größere Mühe, auf Klischees zu verzichten. Der Franzose versucht den Konflikt, ohne ihn zu ignorieren, so weit es nur geht in den Hintergrund zu rücken. Er zeichnet stattdessen ein liebevoll-detailliertes Bild des Alltags und der Menschen in Gaza, die alle versuchen, irgendwie ein normales Leben zu führen, sich aber permanent mit der absurden Situation konfrontiert sehen.

    »Der Film ist zunächst ein vom Lachen erstickter Wutschrei«, erklärt Estibal. »Er ist ein Aufstand gegen festgefahrene Darstellung.« Und der beginnt schon in der Besetzung: Der palästinensische Fischer Jafaar wird vom irakischen Israeli Sasson Gabay gespielt, die Darstellerin der jüdischen Yelena, Myriam Tekaïa, ist Tunesierin; sogar das Schwein ist im richtigen Leben eigentlich eine Sau.

    Zudem sucht der Regisseur, aus dessen Feder auch das Drehbuch stammt, nach Gemeinsamkeiten: Israelis und Palästinenser, Juden und Muslime sind geeint in ihrer Abneigung dem Schwein gegenüber. Auch schaut einer der Soldaten auf dem Haus Jafaars viel lieber mit dessen Frau Fatima fern, als auf seinem Posten zu stehen. Estibal begreift sich als Außenstehender und gibt sich neutral, auch von Schuldzuweisungen sieht er weitgehend ab. Gänzlich auf ein politisches Statement kann er aber dann doch nicht verzichten: »Dauernd fühlt er sich angegriffen, obwohl er viel stärker ist«, schimpft Fatima vor dem Fernseher und meint damit wohl kaum lediglich den Protagonisten der Telenovela.

    Herzlicher Humor und starke Charaktere

    Der herzliche Humor und die starken Charaktere geben solch einseitiger Kritik dabei nicht allzu viel Raum. Werden sie doch immer wieder zum Spielball im Kräftemessen der übergeordneten Mächte, ringen die Darsteller 98 Minuten auf absurd-witzige Art um ihre Würde und einen selbstbestimmten Alltag. Überhaupt kommt die französisch-deutsch-belgische Produktion durchweg optimistisch und fröhlich daher: Immerhin findet Jafaar fast für jedes seiner Probleme eine Lösung, wenn auch nicht auf konventionellem Wege und selbst in den düstersten Momenten bleibt eine gewisse Lockerheit bestehen. Die Botschaft ist deutlich: Man ist der Situation und des Schwermuts einfach überdrüssig.

    Das Filmteam aus 20 verschiedenen Nationen versucht unter sensibler Berücksichtigung der Umstände ein wenig Hoffnung auf die Leinwand zu bringen: »Wir haben sowohl von Israelis wie auch Palästinensern gehört, dass Lachen Mangelware ist und ihnen schmerzlich fehlt«, erklärt Myriam Tekaïa. »Dieses Lachen miteinander zu teilen, ist für uns eine Möglichkeit, den Völkern dabei zu helfen, sich anzunähern.« Und zumindest für die Zuschauer gilt: Es gelingt.